Neustart für den Wohnblog und zwei wohnungspolitische Grassroots-Organisationen in Wien

Die enormen Teuerungsraten der letzten Monate machen es für breite Bevölkerungsschichten immer schwieriger, die täglichen Lebenshaltungskosten zu bestreiten. Neben der kriegsgetriebenen Kostenexplosion im Energiebereich gelten die konstant steigenden Wohnkosten nach wie vor als Dauerbrenner. Die Politik zeigt sich weitgehend ideenlos und überlässt – abseits von zumeist wenig durchdachten und nur kurzfristig wirkenden Einmalzahlungen – die Problemlösung weiterhin dem Markt. Ausgerechnet jenem Markt, der seit Jahrzehnten zeigt, dass seine innere Logik gerade bei Themen der Grundversorgung mehr Probleme als echte Lösungen bietet.
Grund genug, um nach dreijähriger Pause diesen Blog zu reaktivieren – parallel dazu wird die gesamte Website wohungspolitik.at schrittweise aktualisiert und überarbeitet. Zugleich und unabhängig davon haben sich in den vergangenen Monaten in Wien zwei neue Gruppen gegründet, die das Problem der teuren Mieten und Zwangsräumungen aus der Perspektive von Lohnabhängigen thematisieren. Konkret handelt es sich um Zwangsräumungen verhindern (Anm.: namensgleiche Gruppen existieren in mehreren deutschen Großstädten sowie in Wien bis 2019) aus der linken En Commun-Bewegung sowie CritCity Vienna. Letztere versucht besonders das – zugegebenermaßen überholte – Narrativ des „Roten Wiens“ zu hinterfragen und fordert die Stadtregierung aktiv dazu auf, die ursprüngliche Vision von leistbarem, gemeindeeigenem Wohnraum wieder aufleben zu lassen.

Mitte Juli 2022 fand im hitzegefluteten 5. Wiener Gemeindebezirk – mit über 26.000 Einwohner*innen pro km² der mit Abstand am dichtesten besiedelte Bezirk – die erste gemeinsame Fahrraddemo der beiden Gruppen statt. Knapp 100 Demonstrant*innen – inklusive des Autors als teilnehmender Beobachter – fuhren dabei verschiedene Stationen an, an denen mithilfe kurzer Inputs deren jeweilige Rollen innerhalb der lokalen wohnungspolitischen Struktur bzw. im Stadtgefüge thematisiert wurden. Dazu zählt etwa die Wohnungslosenhilfe Neunerhaus als auch der markante Gemeindebau Matteottihof. Dass trotz der typischen Ferienstimmung eines späten Sonntagnachmittags zahlreiche Passant*innen interessiert zuhörten und den Demoteilnehmer*innen mit spontanen Solidaritätsbekundungen begegneten, ist nicht nur für Wien ein recht ungewohntes Bild, sondern zeugt auch davon, dass hier offensichtlich ein Nerv getroffen wurde. Neben der politökonomisch fundierten Kritik an der zunehmend marktbasierten Wohnraumversorgung wurde mit eingängigen Slogans wie „keine Profite mit der Miete“ und „Wohnraum für Alle, sonst gibt’s Krawalle“ sowie mit ringsum verteiltem Informationsmaterial (siehe unten) über die Anliegen der Demonstration aufgeklärt.
Angesichts der durchdachten Organisation der ersten Demo, der Verknüpfung von politökonomischen Analysen mit alltäglichen Kämpfen und des positiven Feedbacks der Anwohner*innen und Passant*innen kann von einem vielversprechenden Auftakt gesprochen werden. Die nach wie vor ungelöste Wohnungsfrage sowie die allgemeine Inflationswelle bieten reichlich Potential, um die Bevölkerung für das allen Menschen zustehende Grundrecht auf leistbares Wohnen zu sensibilisieren und so eine Bewegung in Gang zu setzen, die die etablierten politischen Parteien dazu zwingt, endlich nachhaltige Lösungen abseits des profitorientierten Wohnbaus zu schaffen. Bleibt nur zu hoffen, dass szenetypische Streitigkeiten und Spaltungstendenzen angesichts der großen Bedeutung einer gemeinsamen Alternative zum marktbasierten Wohnen außenvorbleiben. Stattdessen gilt es, eine breite und in der Bevölkerung verankerte Bewegung zu begründen, um den enormen Bedarf an einer nicht-profitorientierten Wohnungspolitik öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren.

Die nächste Ausfahrt findet am 28.08.2022 ab 17 Uhr am Karmeliterplatz statt. Die Themen lauten auch diesmal „gegen Teuerung, hohe Mieten und Zwangsräumungen“.