Im Frühsommer 2018 bricht über den gründerzeitlichen Zinshausbestand Wien eine Abrisswelle herein, die ihres gleichen sucht. In vielen Fällen versuchen die Eigentümer noch vor Inkrafttreten der Novelle der Wiener Bauordnung, welche zumindest eine verpflichtende Genehmigung für den Abriss solcher Gebäude vorsieht, Fakten zu schaffen. Im Zuge dessen gehen nicht nur architektonisch wertvolle Bausubstanz und leistbarer Wohnraum verloren, auch MieterInnenrechte werden mehrfach missachtet. Die Welle der Zerstörung verebbte mit Gültigkeit der Gesetzesnovelle Ende Juni, vielfach musste ein behördlicher Abrissstopp verhängt werden. Eine durchaus überraschende parlamentarische Anfrage von Mag. Ruth Becher (SPÖ) an Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) und Justizminister Josef Moser (ÖVP) soll nun helfen etwaige illegale Verstrickungen aufzudecken.
Update vom 15.2.2019: Mittlerweile sind die Beantwortungen eingelangt. Siehe am Ende des Artikels.
Am 29. Juni 2018 war es schließlich soweit. Dank einer Novellierung der Wiener Bauordnung hatten die Behörden endlich ein Mittel in der Hand um die umfassende Zerstörungswelle am historischen Zinshausbestand zu stoppen. Von diesem Tag an wird für den legalen Abriss eines Altbaus (vor 1945 errichtet), eine Genehmigung der MA 19 (Stadtbild) benötigt. Auf diese Weise soll die beliebte Praxis einiger Immobilienfirmen, die so genannte Abrissspekulation, zumindest nur noch erschwert möglich sein. Eine eigentlich logische Entwicklung, denn die Zerstörung des historischen Stadtbildes und der Verlust leistbaren Wohnraums, widerspricht klar dem öffentlichen Interesse.
Welche Motive stecken hinter der Abrissspekulation?
Alte Zinshäuser stellen günstigen, weil abbezahlten, oft bautechnisch hochwertigen, Wohnraum dar. Die berühmt-berüchtigten Friedenszinse sind war nur noch sehr selten anzutreffen, dennoch gilt im Altbau der so genannte Richtwertzins: Knapp 5,6 € dürfen pro m² Wohnfläche verlangt werden. Dies ermöglicht eine äußerst sichere, wenngleich niedrig verzinste Wertanlage auf der einen und relativ leistbaren Wohnraum auf der anderen Seite. Zwar hat auch der Richtwertzins seine Tücken, insbesondere die juristisch sehr unsauberen Regelungen zu Ab- und Zuschlägen sowie der an den freien Markt gekoppelte Lagezuschlag (Anm.: Auch hier kam es im Spätsommer 2018 zu einer ersten Reparatur) ermöglichen deutlich höhere Mieten als die gesetzlich festgelegten 5,6 €/m². Dennoch bleiben zumindest theoretisch Rendite - und damit auch Mietkosten - auf ein gesellschaftlich verträgliches Maß beschränkt. Ganz anders stellt sich die Situation im freifinanzierten Neubau dar: Hier kann die so genannte „marktkonforme Miete“ verlangt werden, die in vielen Stadtteilen Wiens übrigens bereits rund 14 € netto /m² beträgt.

Einschub: Dieser Zustand der Ungleichheit am privaten Mietsektor - gedeckelte Mieten im Altbau, freier Mietzins im Neubau - ist auch jahrelanger Streitpunkt zwischen den Vertretern der Immobranche und jenen der MieterInnen (ca. 80% der Wiener Bevölkerung). Einig ist man sich nur, dass überall die gleichen Regeln gelten sollen. Während einige Eigentümer und allen voran auch die ÖVP-FPÖ-Regierung das Modell der „marktkonforme Miete“ auch auf die Altbauten ausdehnen möchte, fordern diverse Akteure rund um die AK, Mietervereinigung und Wohnungsmarktexperten eine Ausdehnung der gesetzlichen Mietendeckelung auf alle abbezahlten Mietwohnungen.
Das Geschäftsmodell der Abrissspekulation begleitet Wien schon seit Jahrzehnten, unterliegt dabei aber einer Art Konjunktur. Den Abrisswellen der 70er und 80er Jahre konnte beispielsweise mit umfassenden, öffentlich finanzierten Sanierungsmodellen entgegen gewirkt werden. Seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 strömen große Mengen Finanzkapital in die Immobilienmärkte, eine Entwicklung die auch an Wien nicht vorübergeht. Dabei unterscheiden sich die jüngeren Investitionen ins „Betongold“ oftmals durch eine sehr kurzfristige Perspektive. Immobilieneigentum wird nicht mehr als langfristige, sorgsam geführte Wertsicherung mit Niedrigverzinsungen verstanden. Kurzfristige Veranlagungen, welche fünf, sechs, sieben oder mehr Prozent jährliche Rendite versprechen sind keine Seltenheit. Für ein solches Anlageprodukt wie Wohnraum – und wir sprechen hier nicht von Luxusimmobilien – eine absolut unrealistische Zahl.
Wieso dies dennoch möglich ist?
Nun, ein Weg eine möglichst hohe Rendite bei kurzer Veranlagung zu erzielen ist der Kauf und Verkauf im Umfeld eines Nachfragebooms. Problematisch ist allerdings von Investitionsseite, dass man nie genau weiß wann der Boom vorbei sein wird. Kommt es zu einer ausprägten Spekulationsblase, können zwar einige Zeit lang absurde Preissteigerungen beobachtet werden, aber irgendwann platzt die Blase und Unmengen von Anlagekapital wird vernichtet. Eine andere, bisher deutlich weniger risikoreiche Strategie: Man erwirbt ein altes Zinshaus, idealerweise mit bestehenden, unbefristeten Mietverträgen, denn diese drücken den Kaufpreis. Sobald man dann mit einem Bündel an Maßnahmen die Altmieter losgeworden ist, steht dem Abriss nichts mehr im Weg. Mit einem freifinanzierten Neubauprojekt können Mieteinnahmen in beinahe dreifacher Höhe, mit Eigentumswohnungen noch deutlich höhere Profite, erzielt werden. Die Abrisswelle des Frühsommer 2018 stellt einen negativen Höhepunkt dieser Praxis dar. Es wird von knapp hundert „Last-Minute“ Abrissen in den Monaten Mai und Juni ausgegangen. Besonders „innovativ“ waren dabei die Eigentümer des historischen Häuserensembles in der Radetzkystraße 24-26 (siehe Bild oben). In einer bis dato unbekannten Rücksichtslosigkeit wurde trotz mehrerer aufrechter Mietverträge mit dem Abriss begonnen. Um jeden Preis wollten die Eigentümer Fakten schaffen: So wurden noch vor Inkrafttreten der Bauordnungsnovelle das Dach abgetragen, dutzende Fenster entfernt und die schützenswerten Fassadenelemente abgeschlagen. Die ca. 25 verbliebenen MieterInnen werden zwar von Baupolizei und insbesondere Mieterhilfe und Mietervereinigung unterstützt, müssen aber in einem – nach dem vorerst gescheiterten Abriss – Haus ohne Dach durch den Winter kommen.
Anonyme Zerstörungswut?
Stellt sich die Frage, wer hinter dieser oft anonymisierten Zerstörungswut, gepaart mit überbordender Profitgier, eigentlich steckt. Immerhin geht es hier nicht um legitimes, verantwortungsvolles Wirtschaften sondern um skrupellose, immer öfter auch gesetzeswidrige Geschäftemacherei. In der parlamentarischen Anfrage von Mag. Ruth Becher heißt es dazu: „Wer dahinter aber den/die einzelne/n HausbesitzerIn vermutet, irrt. Recherchen ergeben, dass es sich dabei mitunter um, teils verschachtelte Netzwerke handelt. Ein Blick in das Grundbuch fördert im konkreten Fall (Radetzkystraße 24-25) (sic!) zu Tage, dass der Urheber der rigorosen Abrisstätigkeiten weitreichende Aktivitäten zeitigt.“
Das Netzwerk rund um die GT 14 GmbH, die Eigentümerin der Radetzkystraße 24-26, scheint besonders oft in umstrittene Bewirtschaftungspraxen involviert zu sein. Die GT 14 Gmbh selbst setzt sich aus drei verschiedenen Eigentümern zusammen (siehe Abb.1 weiter unten). 10% gehören zu der Baumeister DI Eichberger Immobilien GmbH, 40% hält die DOMIZIL Immobilienentwicklungs GmbH und 49% die SUPERIMMO Immobilientreuhand GmbH. Abgesehen von der Eichberger Immobilien GmbH, die im alleinigen Eigentum einer gleichnamigen Einzelperson steht, verbergen sich noch drei weitere Personen hinter dem weitverzweigten Firmengeflecht. Sowohl die DOMIZIL Immobilienentwicklungs GmbH, als auch die SUPER-IMMO Immobilientreuhand GmbH verweisen auf die so genannte Steiner Gruppe. Dahinter stehen vor allem Frau S. Steiner (Jg. 52) und sowie Mag. A. Steiner (Jg. 75). Mag. A. Steiner ist etwa Geschäftsführer sowohl der GT 14 Gmbh, als auch der Firmen Superimmo und Domizil. Frau S. Steiner dagegen ist alleinige Eigentümerin der „Kleiderfashion Weisz & Steiner GmbH“, über die sie mehr als 80% der Anteile an der DOMIZIL Immobilienentwicklungs GmbH hält. Das vermeintliche Modeunternehmen scheint übrigens nur zur Tarnung mit einem solch irreführenden Namen versehen worden zu sein. Laut Website der Wirtschaftskammer ist die „Kleiderfashion Weisz & Steiner GmbH“ ausschließlich im Bereich der Baumeisterei, Fahrzeughandel und Versicherungen tätig.

Seit März 2017 befindet sich das Häuserensemble in der Radetzkystraße 24-26 im Besitz der Steiner‘schen und Eichberger‘schen Immobilienfirmen. Während Herr DI Eichberger übrigens pikanterweise auch als gerichtlich beeideter Sachverständiger u.A. für Altbau-Sanierung, Dachgeschossausbau und Kulturgüterschutz lt. UNESCO Konvention zugelassen ist, verfügen die Steiners über ein umfassendes Immobilienportfolio. Auf der Homepage werden strahlende Eigentumswohnungen in schön-gerenderten Neubauprojekten präsentiert. Dabei scheint die Bestandfreimachung und Abrissbewirtschaftung von gründerzeitlichen Zinshäusern eine Art Unternehmensstrategie zu sein. Alleine die zwei jüngst angekündigten Fertigstellungen in der Baumgasse 71-73, 1030 Wien (vorher); und Moissigasse 11, 1220 teilen sich das gleiche Schicksal: Ihnen ging die Vernichtung von architektonisch erhaltenswertem und leistbarem Wohnraum voraus.
Gesellschaftspolitische Aufgabe
Die Abrisswelle des Frühsommers 2018 ist zwar weitgehend verebbt, die Spuren sind jedoch weiterhin sichtbar. Gesellschaftspolitisch stellt sich die Frage, ob man ein solches Treiben weiterhin tolerieren oder besser in gelenkte Bahnen leiten möchte. Kann das Eigentumsrecht über das Recht auf leistbares Wohnen gestellt werden? Und wenn ja, wollen wir tatsächlich in einer Gesellschaft leben in der die Profitmaximierung einiger weniger Personen wichtiger sind als grundlegende Bedürfnisse wie angemessenen Wohnraum für Alle? Ein Teil der Antwort wird sich im Rahmen der politischen Auseinandersetzung zwischen der Rot-Grünen-Stadtregierung Wiens, mit ihrem Versuch eines Interessensausgleichs zwischen renditesuchenden Investoren und sozial orientiertem Städtebau, und der leider sehr einseitig positionierten Bundesregierung finden. Doch auch Rot-Grün muss sich entscheiden. Zu oft wurden in den letzten Jahren wenig durchdachte bzw. sehr lockere Bestimmungen erlassen, welche nur bedingt geeignet sind um die Profitgier der einigen wenigen Immobilienspekulanten in sozial verträgliche Bahnen zu lenken.
Vielleicht bringt uns die parlamentarische Anfrage von Mag. Ruth Becher der gesellschaftspolitischen Antwortfindung ein Stückchen näher. Mit Stand Ende Jänner 2019 liegt übrigens noch keine ministerielle Antwort vor. Zwei Wochen verbleiben den zuständigen Ministern bis zum Ablauf der Beantwortungsfrist. Sobald sich neue Informationen ergeben, werden Sie an dieser Stelle selbstverständlich umfassend informiert.
***EDIT*** Am 12.2 beantwortete Innenminister Kickl die Anfrage von Mag. Ruth Becher. Dabei zeigt er sich als nicht zuständig bzw. über
mögliche Ermittlungen uninformiert. Am 13.2 - dem letzten Tag der Beantwortungsfrist - langte die Beantwortung durch Justizminister Dr. Moser ein. Darin verweist er bezüglich der Abrissspekulation
lediglich auf bestehendes Recht. Folglich plant der Minister auch keinen Schutz für betroffene MieterInnen. ***EDIT***