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Die neue Bauordnung: Eine Wiener Grund-und-Boden Revolution?

Ein guter Ausblick für leistbares Wohnen?
Ein guter Ausblick für leistbares Wohnen?

Wenn Österreich wiedermal internationale Schlagzeilen macht, dann hat das in der Regel einen wenig erfreulichen Hintergrund. Ganz besonders dann, wenn es sich um Meldungen aus dem Bereich der Innenpolitik handelt. Doch diesmal hallt ein positives Medienecho durch Europa, selbst der Spiegel berichtet von einem „Paukenschlag“.

 

Doch was ist passiert? Am 22. November 2018 beschloss der Wiener Gemeinderat die Novelle der Bauordnung und führt zugleich eine neue Flächenwidmungskategorie (geförderter Wohnbau) ein. Diese Kategorie soll laut Plänen der rot-grünen Stadtregierung auf alle größeren Neubauprojekte (Anm.: über 5.000 m² Wohnfläche), welche eine Umwidmung der Flächennutzung benötigen, angewendet werden. Demnach gilt für derartige, zukünftige Bauprojekte „dass ein überwiegender Anteil der Wohnfläche mit geförderten Wohnungen (Anm.: mit Nettomieten von ca. 5 €/m²) verbaut werden muss“. Definiert ist dieser Anteil „im Regelfall“ mit 2/3 der Nutzungsfläche. Das verpflichtet gewinnorientierte Bauträger zum sozialen Wohnbau bzw. drängt sie teilweise aus dem Wohnungsmarkt. Die Gegner dieser Novelle finden sich vor allem auf Seiten der konservativ-neoliberalen Parteien, allen voran der Wiener ÖVP. In Einklang mit den Interessensvertretern der großen Immobilienunternehmen, wird ein solcher Eingriff in den Markt als „retrosozialistisch“ bezeichnet.

 

Tatsache ist jedenfalls, dass diese politische, in heutigen Zeiten beinahe revolutionär anmutende, Maßnahme auf einer nüchternen Analyse des Wohnungsmarktes beruht. Wie auch an dieser Stelle nachzulesen ist, war Wien in den letzten Jahren von einer sehr „dynamischen“ Entwicklung der Wohnkosten geprägt. Wien boomt und wächst auch bevölkerungsmäßig recht stark. Doch auch das jährliche Bevölkerungswachstum von 1 – 1,5 % kann die Explosion der Miet-, und insbesondere der Eigentumspreise nicht erklären. Die Mietkosten stiegen in den letzten Jahren mehr als doppelt so stark wie die Einwohnerzahl, die Eigentumspreise sogar um das fünf- bis sechsfache. Ursächlich dafür sind die enormen Mengen an Finanzkapital, welche insbesondere seit der globalen Wirtschaftskrise ab 2008/09 in den Wiener Immobilienmarkt strömen. Auf der Suche nach einer sicheren, aber zugleich hochverzinsten Anlage treibt das Investitionskapital eine spekulative Preisspirale an, welche mehrere, negative Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von leistbarem Wohnraum mit sich bringt: Die Grund-bzw. Bodenpreise schießen derart in die Höhe, so dass die gemeinnützigen Wohnbauträger kaum mehr Wohnprojekte verwirklichen können. Nach der weitgehenden Einstellung des stadteigenen Gemeindebaus Anfang der Nullerjahre galten die Gemeinnützigen als wichtigster Akteur für die Schaffung von leistbarem Wohnraum. Ca. 2/3 der gesamten Neubauleistung im Wohnsektor gingen auf das Konto der gemeinnützigen Bauvereinigungen, ehe ihr Anteil in den letzten drei, vier Jahren auf rund ein Drittel einbrach. Zwar wurden im Gegenzug mehr Wohnungen im privaten, gewinnorientierten Sektor errichtet, diese sind aber aufgrund der hohen Renditeerwartungen, welche sich in die Miete einpreisen, kaum als leistbar zu bezeichnen. Diese Beobachtung teilt auch der, an den jahrelangen Verhandlungen beteiligte, Grünen-Politiker Christoph Chorherr. Er bemängelt das eindeutige Marktversagen, welches unter Berücksichtigung der natürlichen Eigenschaften von Grund und Boden - es handelt sich um ein „besonderes Gut, das nicht vermehrbar ist“ (Anm.: in der kritischen Stadtforschung wird deshalb auch der Begriff der Monopolrente verwendet) – nicht überrascht. Aufgrund eben dieser grundlegenden Eigenschaften des Wohnungsmarktes und seiner zugleich enormen Bedeutung für soziale Gerechtigkeit – leistbares Wohnen gilt seit Jahrzehnten als Menschenrecht – können korrigierende Eingriffe wie die Bauordnungsnovelle zwar als „retrosozialistisch“ bezeichnet werden, in Wahrheit handelt es sich jedoch um eine längst überfällige Korrektur drastischer Fehlentwicklungen am „freien Markt“.

 

Die Wiener Stadtregierung geht ihrerseits von einer „preisdämpfenden Wirkung“ sowie einem Wiedererstarken des gemeinnützigen Wohnbaus aus. Ob diese Erwartungen erfüllt werden können, hängt dabei von mehreren Faktoren ab. Noch ist nicht klar in wie weit die, mit der neuen Flächenwidmungskategorie geschaffenen, regulatorischen Möglichkeiten auch tatsächlich genutzt werden. Weiters ist die Frage, ob die neue Kategorie des geförderten Wohnbaus auch weiterhin auf gewinnorientierte Wohnbauträger abzielt. Unter dem damaligen Wohnbaustadtrat und nunmehrigen Bürgermeister Dr. Michael Ludwig wurden – im Rahmen der Wohnbauinitiativen –privatwirtschaftliche Bauprojekte im großen Stil öffentlich gefördert. Zwar einigte man sich im Austausch auf eine sozialverträgliche Begrenzung des Mietpreises. Im Vergleich mit der Förderung von gemeinnützigen Bauträgern hat diese Kooperation allerdings einen gewaltigen Nachteil: Während letztere über einen gesetzlich verankerten, geschlossenen Kapitalkreislauf verfügen und damit unbegrenzt lange an niedrige Mietpreise, quasi zum Selbstkostenpreis, gebunden sind, fällt bei der Förderung gewinnorientierter Unternehmen eine solche Bindung nach vereinbarter Dauer einfach weg. So verpufft die preisdämpfende Wirkung bei den Projekten Wohnbauinitiativen in der Regel bereits nach Ablauf von zehn Jahren völlig.

 

Ob die Einführung einer sozial nachhaltigen Widmungskategorie schon ausreicht um von einer Revolution zu sprechen, sei dahin gestellt. Jedenfalls stellt die Novelle einen wichtigen Schritt in Richtung sozial nachhaltiger Wohnungspolitik dar. Dabei reiht sie sich in eine Reihe regulatorischer Verbesserungen ein, die gerade in jenen Bereichen, in den man zu lange den teilweise desaströsen Entwicklungen am „freien Markt“ einfach nur zugesehen hat, schlagend werden. Erst Ende Juni 2018 wurde durch das Ende der genehmigungsfreien Abrisse von Wohnaltbauten, einer dramatischen Zerstörung von leistbarem Wohnraum und architektonischen Schätzen, zumindestens ein kleiner Riegel vorgeschoben. Nur kurze Zeit später präsentiert die Stadtverwaltung die überarbeitete Lagezuschlagskarte. In wie weit die Stadtregierung diesen, nach Law and Order Politik im öffentlichen Raum (siehe Praterstern-Alkoholverbot, Essverbote in der U6 etc.) und fragwürdigen Kooperationen mit Immobilienspekulanten (z.B. Heumarkt), doch erfrischenden Weg weitergehen wird, wird sich noch zeigen. Ein brauchbares Instrument hat sie nun jedenfalls in der Hand.