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Stürmische Zeiten im Sozialbau: Aushöhlung der Gemeinnützigkeit durch Privatisierung und Verteuerung.

Die so genannten Genossenschaften, die korrekterweise Gemeinnützige Bauvereinigungen (GBV) heißen, konnten auch durch den Ibiza-Skandal nicht vor einer Aushöhlung der bisherigen Standards gerettet werden. Die mittlerweile als Schwarz-Blau III in die Geschichtsbücher eingegangene Ex-Regierung bastelte - wie an dieser Stelle berichtet - bereits vor einigen Monaten an einer Novellierung des WGG (Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz). Dieses sehr umfangreiche und durchaus komplexe Gesetzeskonvolut regelt einen ganz wesentlichen Grundpfeiler des sozialen Wohnbaus in Österreich: den gemeinnützigen Wohnbau.

 

Die WGG-Novelle bringt stürmische Zeiten für die MieterInnen des gemeinnützigen Wohnbaus.
Die WGG-Novelle bringt stürmische Zeiten für die MieterInnen des gemeinnützigen Wohnbaus.

 

Das Kostendeckungsprinzip im gemeinnützigen Wohnbau

Die GBV errichteten in den letzten Jahrzehnten knapp eine Million Wohneinheiten und zählen seit der weitgehenden Einstellung der Gemeindebauten zu den wichtigsten Produzenten von langfristig leistbarem Wohnraum. Das Label der Gemeinnützigkeit verpflichtet nämlich zu dem Prinzip der Kostendeckung. Das bedeutet, GBV-Wohnungen werden nicht profitorientiert errichtet und betrieben, es werden lediglich die zur Errichtung, Verwaltung und Erhaltung notwendigen Kosten an die Mieter weitergegeben, inklusive eines gedeckelten Gewinnaufschlags. Hier liegt ein großer Unterschied zu gewerblichen Bauträgern, die im Neubausektor verrechnen können was der Markt hergibt. Für die Mietpreise der Gemeinnützigen sind zwei unterschiedliche Phasen wesentlich: Da die GBV in der Regel Kredite aufnehmen müssen um ein Grundstück erwerben und bebauen zu können, fließen die damit verbundenen Kosten in die Miete ein (Kostendeckungsprinzip bzw. Kostenmiete). Es darf in diesem Zeitraum nicht weniger, aber eben auch nicht mehr als für Deckung aller Kosten notwendig, verlangt werden. In der Regel betragen die Laufzeiten für Wohnbaukredite ca. 15-30 Jahre, danach gilt das Wohnhaus als refinanziert. Ab diesem Zeitpunkt entfaltet eine weitere Besonderheit des Gemeinnützigen Wohnbaus ihre Wirkung. Nachdem sämtliche Finanzierungskosten getilgt sind, wird die Miete auf 1,80 €/m² Grundmiete plus maximal 2,1 €/m² Erhaltungs- und Verbesserungsaufwand begrenzt. Insgesamt können somit nur noch maximal rund 3,9 €/m² Nettomiete verlangt werden, was insgesamt zu einer durchschnittlichen Bruttomiete (inklusive Betriebskosten und Steuer) von unter 7€/m² führt. Ein Wert, der besonders in Ballungsräumen konkurrenzlos niedrig ist und sogar viele der Gemeindewohnungsmieten unterbietet.

 

Unvorhergesehene Mieterhöhungen auch im Sozialbau: VP-FP-NEOS machen es möglich

Anfang Juli wurde im Nationalrat, beim so genannten freien Spiel der Kräfte mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ und NEOS eine Novelle des WGG beschlossen, die genau diese kostendeckende Regelung aushebelt. Dies passiert auf zwei sehr unterschiedlichen Wegen. Zum einen, wird die nach Rückzahlung der Kredite verpflichtende Absenkung auf max. 3,9 € netto aufgeweicht. Laut der WGG-Novelle sind die GBV dann nicht mehr zur Mietreduktion verpflichtet, wenn sie Eigenmittel für Erhaltungsmaßnahmen verwenden. Solche Kosten waren bisher durch den Erhaltungs- und Verbesserungsbeitrag bereits in den max. 3,9 € Nettomiete abgedeckt. Kurz gesagt: Auch nachdem die Refinanzierung der Wohnbaukredite abgeschlossen ist, muss die Miete nun nicht mehr abgesenkt werden. Sind die GBV der Meinung, sie müssen Eigenmittel in diverse Maßnahmen investieren, die keinerlei Zustimmung durch Mieter oder Kontrolle durch Gutachter bedürfen, müssen künftig die Mieter dafür aufkommen.

 

Edit vom 15. 7. 2019:

In einem Gespräch mit Mag. Orner, dem Obmann der EBG (Gemeinnützige Ein- und Mehrfamilienhäuser Baugenossenschaf) konnten die rechtlichen Bedingungen zur "Nicht-Absenkung" konkretisiert werden. Die WGG-Novelle erlaubt keine willkürliche Mietanhebung, diese Option beschränkt sich auf folgendes Szenario:

Wenn innerhalb der Refinanzierungsphase (auch Auslaufannuität) die Kostenmiete für Erhaltungs- und Verbesserungsmaßnahmen nicht ausreicht, die GBV deshalb auf Eigenmittel zurückgreifen muss und dadurch bis zum Ende der Refinanizerungs- bzw. Annuitätenphase ein Minus übrigbleibt, darf die GBV bis zum Schließen dieser Lücke weiterhin die ursprüngliche Kostenmiete verlangen. Laut Einschätzung des Herrn Mag. Orner kann dies in Zukunft dazu führen, dass etwaige Investitionen vorzeitig, sprich vor Auslauf der Annuitäten, getätigt werden. Insgesamt scheint die Möglichkeit zur Nicht-Absenkung eher eine Umgehung der problematische Situation von zugleich sehr niedrigem EVB und sehr hohen Instandhaltungspflichten im Gemeinnützigen Wohnbau darzustellen.

 

 

Konkret verlieren die Mietparteien auch ihre Stellung als Verbraucher im Sinne des Konsumentenschutzgesetzes, wodurch sie nicht länger vor unvorhergesehenen Erhöhungen geschützt sind. In der Stellungnahme der Mietervereinigung, welche die Novelle eingehend analysiert hat, heißt es dazu:

 

"Setzt eine Bauvereinigung nach ca. 40 Jahren Eigenmittel für die Sanierung eines Hauses ein, dann könnte sie die nächsten 30 Jahre eine verstärkte Tilgung ihrer Eigenmittel als kostendeckendes Entgelt verrechnen, die Mieter hätten in diesem Fall keine Möglichkeit eine Absenkung der Miete zu erlangen." (Stellungnahme der Mietervereinigung)

Anm. vom 15. 7. 2019: Laut der Editierung weiter oben, kann eine solche Maßnahme nur bis zum Ende der Refinanierungsphase erfolgen. Meistens beträgt diese weniger als 40 Jahre, weshalb die Angabe der Mietervereinigung vermutlich niedriger anzusetzen ist.

 

Auf lange Sicht löst die Novelle den dauerhaften Schutz der Mieter vor Preiserhöhungen auf. Zwar unterliegen die Mieten weiterhin dem Kostendeckungsprinzip, die Mieter haben aber keine Kontroll- oder Einspruchsmöglichkeiten. Die GBV selbst begrüßen diese Möglichkeit, sind sie somit doch wesentlich freier in ihrer unternehmerischen Handhabung. Fraglich ist, ob dies dem öffentlich geförderten Auftrag im Rahmen des Gemeinnützigkeitslabels gerecht wird.

 

Öffentliche Mittel für private Gewinne: Wie man (nicht) vor Spekulation schützt

An ganz anderer Stelle setzt die so genannte "Eigentumsförderung" an, die von den beschlussfassenden Parteien als intendiertes Ziel angegeben wurde. Neben Mietwohnungen errichten die GBV auch so genannte Miet-Kauf-Wohnungen. Anders als vielfach angenommen, beinhaltet die Miete einer solche Wohnung keine Anzahlung an den späteren Erwerb, vielmehr erwirbt der Mieter eine Kaufoption. Bisher musste die Mietwohnung erstmals nach Ablauf von zehn Jahren dem Mieter zum Kauf angeboten werden, diese Mindestmietdauer reduziert sich jetzt auf fünf Jahre. Insgesamt muss dem Mieter in den darauffolgenden 15 Jahren noch zweimal die Wohnung zum Kauf angeboten werden. Preisliche Eingriffe oder Unterstützungen beim Kaufpreis gibt es jedoch nicht. Die behauptete Eigentumsförderung beschränkt sich auf ein früheres und vermehrtes Anbieten.

Grundsätzlich führt diese Vorstellung von einer sozialen Wohnungspolitik zu einer strukturellen Problematik. Erstens, werden sich nur wenige der Mieter die Wohnungen tatsächlich leisten können, denn eine konkrete Förderung bleibt aus. Zweitens, verliert eine solche Wohnung 15 Jahre nach dem Kauf ihre Preisregulierung. Erwirbt der Mieter die Wohnung nach fünf Jahren, so kann er diese sofort weitervermieten. Gedeckelt wird die Höhe der Mieteinnahmen nur auf 15 Jahre, und auch nicht nach dem WGG, sondern nach dem, in der Regel höheren, Richtwert des MRG. Drittens, entfällt nach Ablauf dieser Frist die Preisregulierung völlig und der Eigentümer kann seinen, mit öffentlichen Geldern geförderten, Wohnraum am freien Markt vermieten. Die vergleichsweise kurze Bindung an den Richtwert führt also dazu, dass ursprünglich mit Steuermitteln finanzierte Wohnungen zu profitorientieren Zwecken privatisiert werden. Für den von ÖVP, FPÖ und NEOS angegeben Zweck dieser Novelle, nämlich der Förderung des Eigentumserwerb, ist diese Maßnahme in keinster Weise sinnvoll. Abgesehen von marktradikalen, ideologischen Ansichten fehlen faktische Argumente, wieso die Preisregulierung nicht dauerhaft erhalten bleiben sollte.

 

Als Relikt von Schwarz Blau III bleibt die so genannte Message Control: Durch die WGG-Novelle wird der Gemeinnützige Wohnbau vor Spekulation geschützt, so der leicht euphemistische Tenor der temporären, marktliberalen Koalition. Tatsächlich enthält die gesetzliche Neuauflage ein längst überfälliges Verbot der touristischen Weitervermietung (z.B. via AirBnB) von gemeinnützigen Wohnungen. Die Nachteile für die Mieter der rund 600.000 GBV-Mietwohnungen aufgrund der Preiserhöhung – die schwer zu schätzenden jährlichen Mehrkosten werden mit rund 2.000 bis 3.000 € angegeben – und insbesondere die strukturschwächende Deregulierung der Mietkaufwohnungen, können damit nur schwerlich aufgewogen werden.